Ralf Baum schrieb in seinem Blog als Zusammenfassung zu einer Session in einem Barcamp:
"Die meisten Teilnehmer konnten aus eigener Erfahrung wenig positives über E-Learning berichten. Von Unterforderung bis hin zu Monotonie lief die Liste der Kritikpunkte. Es war für mich persönlich eine sehr interessante Erfahrung. Denn so ungeschminkt haben mir Leute noch nie berichtet, was sie an E-Learning stört oder missfällt."
Ich möchte hinter den Aussagen ein Ausrufezeichen anbringen und sagen: ja, da stimme ich zu! Manches wird extrem trivialisiert und langweilt mich daher. Anderes ist durch simples Hinterlegen von Textdateien nicht mediengerecht und mitunter ermüdend. Andererseits ist der eigenständige Transfer und der Austausch zwischen den Nutzern häufig gar nicht gefordert.
Ich denke, wir brauchen ein Nachdenken über realistische und erfolgreiche didaktische Konzepte.
Von Kundenseite heißt es häufig, es solle kurzweilig, modern, mobil, motivierend sein. Zugleich ist die mitglieferte Powerpointfolienschlacht (gähn) sakrosankt, beginnt mit Theorieerläuterungen und der Firmengeschichte (gerade gestern erst so gesehen).
Ein paar Fehlentwicklungen:
Begriffe wie Rapid eLearning haben zu zwei falschen Erwartungen geführt:
- Der Lernprozess des Teilnehmers wird beschleunigt.
- Das Erstellen von Lerninhalten wird beschleunigt, weil man ja nur die langweilige Powerpointdatei hineinschieben muss und anschließend etwas herauskommt, das motivierend und animiert ist.
Beides stimmt - natürlich - so nicht.
Das BuzzWord vom mobilen Lernen führt zu der Annahme, Lernen könne jetzt jederzeit und nebenher erfolgen. Daher müsse man nicht mehr die Lernzeit im Tagesablauf einplanen und auch eine konzentrierte ablenkungsfreie Lernzeit sei nicht mehr erforderlich. Das Vokabellernen auf der Busfahrt zur Schule hatte früher schon keine oder nur sehr kurzfristige Wirkung bis zum Vokabeltest in der ersten Stunde. Warum soll das mit mobilen Endgeräten eigentlich anders sein?
Das BMBF hat gerade eine neue Forschungsantragsrunde ausgerufen. In einem Beitrag bei Heise heißt es dazu:
Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Entwicklung neuer Mensch-Technik-Schnittstellen, beispielsweise durch intelligente Lernobjekte, die "wissen" wie sie benutzt werden sollen und die Aktoren und Sensoren nutzen, um dies dem Lernenden begreifbar zu vermitteln.
Mit dem Föderprogramm "Erfahrbares Lernen" will das BMBF im nächsten Jahr Projekte zum Thema E-Learning finanziell unterstützen. Eine direkte Rückspiegelung des Lernfortschritts soll ebenfalls helfen. Ein Skalpell kann so dem Medizinstudenten zeigen, wie es korrekt benutzt wird, und ein neues Messgerät gibt dem älteren Arbeitnehmer Tipps, wie er komplexe Messvorgänge effizienter durchführen kann als bisher.
Einleitend heißt es dazu in dem Beitrag:
In vielen Bereichen konnte sich das rein digitale E-Learning bisher nicht durchsetzen. Auch die Integration digitaler Konzepte in traditionelle Lernformen ist nur begrenzt erfolgreich, wenn es um die Vermittlung von Fertigkeiten geht oder auf die individuelle Situation der Lernenden eingegangen werden soll - etwa bei der Weiterqualifizierung älterer Arbeitnehmer.
Liegt das Dilemma darin, dass die digitale Technik noch nicht intelligent genug ist? Oder brauchen wir eine kritische Reflexion der tatsächlichen Praxis vor dem Hintergrund altbekannter und bewährter didaktischer Erkenntnisse?
Vielleicht ist das Problem aber viel grundsätzlicherer Art. Beschäftigen wir uns vielleicht viel zu wenig mit der systematischen Erzeugung von Lernerfolg und Umsetzung im Alltag? Am Ende eines Präsenztrainings wird gefragt, ob der Dozent unterhaltsam und der Lernstoff verständlich war. In der Trainerszenze heissen diese Auswertungsbögen daher auch 'happy sheets'. Nicht gefragt wird, was ist vom Training nach drei Monaten im Arbeitsalltag tatsächlich genutzt worden. In der Planung von Bildungsprozessen wird mehr gefragt, was soll der Inhalt sein, als wie soll der Inhalt im Alltag angewandt werden und worin besteht der Unterschied zwischen Ist-Arbeitsssituation und Soll-Arbeitspraxis. Wenn die Soll-Arbeitssituation motivierend und attraktiv ist, entsteht daraus eine Eigenmotivation der Lerner genau dieses Ziel zu erreichen. Dieser Sog sorgt dann auch dafür, dass der vermittelte Lernstoff in den Alltag aufgenommen und umgesetzt wird, er kann ja zu spürbaren Verbesserungen führen.
Wie sehen das andere oder stehe ich damit alleine da?
Ralf Hilgenstock